S. Pigni: Eine Stimme für die Entwicklungspolitik

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Titel
Eine Stimme für die Entwicklungspolitik. Entwicklungspolitisches Lobbying am Beispiel von Swissaid, Fastenopfer, Brot für Brüder und Helvetas


Autor(en)
Pigni, Sibylla
Reihe
Studien zur Zeitgeschichte 9
Erschienen
Frauenfeld 2010: Huber Verlag
Anzahl Seiten
232 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
An Lac Truong Dinh, Zeitgeschichte, Historisches Seminar der Universität Bern

Die historische Forschung über «Entwicklung» und «Entwicklungshilfe» hat in den letzten Jahren auch in der Schweiz einen Aufschwung erlebt. Das ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass die Pioniere der Entwicklungszusammenarbeit ein gewisses Alter erreicht haben und als mündliche historische Quellen entdeckt wurden.

Diese von Sibylla Pigni verfasste Studie über das entwicklungspolitische Lobbying in der Schweiz ist aus einer bei Urs Altermatt an der Universität Fribourg entstandenen Lizentiatsarbeit hervorgegangen. Die Autorin setzt sich zum Ziel einen Beitrag zu leisten zur historischen Aufarbeitung des entwicklungspolitischen Lobbyings in der Schweizer Politik und erschliesst dabei von der Historiographie das bisher auch wenig bearbeitete Feld des Lobbyings. Da das Lobbying bisher meist in Zusammenhang mit politischen Aktivitäten von Wirtschaftsverbänden untersucht wurde, liegt, wie die Autorin auch selbst folgert, das Innovative dieser Studie darin, die Entwicklungspolitik und die Lobbying-Theorie in Form eines interdisziplinären Diskurses zur historischen Aufarbeitung der Arbeitsgemeinschaft Swissaid, Fastenopfer, Brot für die Brüder und Helvetas zu kombinieren.

Die breite und weit ausgreifende Studie zeichnet gekonnt die Entstehungsgeschichte der Arbeitsgemeinschaft und ihre Entwicklung zu einer Lobbying-Organisation von 1969 bis 1992 nach, welche in der Schweiz eine entwicklungspolitische Interessenvertretung auf höchster Ebene betreibt. Lobbying wird in diesem Rahmen in erster Linie als Instrument zur Beeinflussung von Politikern und Beamten aufgefasst, das sich durch Vermittlungs- bzw. Kommunikationsprozesse realisiert, die zwischen den verschiedenen Akteuren auf dem politischen Marktplatz stattfinden.

Die Arbeitsgemeinschaft hatte sich bei ihrer Gründung anfangs der 1970er Jahre zum Ziel gesetzt, die Nord-Süd-Debatte in die Öffentlichkeit zu tragen und die Schweizer Bevölkerung auf die Entwicklungsproblematik der Dritten Welt aufmerksam zu machen. Die Arbeitsgemeinschaft wurde jedoch in ihren Anfangsjahren in der Öffentlichkeit und in der Politik nicht als eigenständiger Akteur wahrgenommen, da sie noch keine konsolidierte Identität besass und zu stark an ihre Partnerorganisationen gebunden war. Mit der Gründung der entwicklungspolitischen Koordination (k3w), welche die politische Präsenz der Partnerorganisationen der AG sichern und wirksamer gestalten sollte, dem Engagement einzelner gut vernetzter Akteure und der politischen Einbindung und Partizipation, mauserte sich die Arbeitsgemeinschaft jedoch zu einem anerkannten Ansprechpartner auf Bundesebene und konnte als solcher immer häufiger entwicklungspolitische Problembereiche in den politischen Diskurs einbringen. Die Autorin hat, um zu ihren einleuchtenden Befunden zu kommen, zahlreiche und vielfältige Quellen aus dem Schweizer Bundesarchiv, dem Archiv der Arbeitsgemeinschaft Alliance Sud und diversen Privatarchiven ausgewertet, sowie Gespräche und Briefwechsel mit Zeitzeugen geführt.

Im Schlussteil verbindet die Autorin ihre Befunde mit der Aktualität und stellt fest, dass die Arbeitsgemeinschaft nicht mehr nur den Staat sondern auch die Privatwirtschaft an ihre gesellschaftliche Verantwortung zu erinnern habe und dass Entwicklungspolitik immer mehr Interessenspolitik ist. Gerade die letzte Erhöhung des Entwicklungszusammenarbeitskredits zeigt meines Erachtens auch, dass die Entwicklungspolitik auch längst nicht mehr nur von der linken Ratsmehrheit, sondern auch von wirtschaftsnahen Parlamentariern, deren Interessensvertretung nicht immer ganz eindeutig ist, gefördert wird.

Der grosse Wert von Pignis flüssig geschriebener Arbeit ist die Dokumentation der Arbeit von Entwicklungsakteuren mit den zuständigen Bundesstellen. Auch wenn die an Schweizer Entwicklungspolitik interessierte Leserin immer wieder auf die gleichen Namen und für die Entwicklungszusammenarbeit relevanten amtlichen Schriftstücke trifft. Doch ist gerade diese Untersuchung nicht nur von einer Fachleserschaft mit grossem Nutzen zu lesen, sondern auch von interessierten Laien und geht weit über das hinaus, was man von einer Lizentiatsarbeit zu erwarten hätte.

Zitierweise:
An Lac Truong Dinh: Rezension zu: Sibylla Pigni: Eine Stimme für die Entwicklungspolitik. Entwicklungspolitisches Lobbying am Beispiel von Swissaid, Fastenopfer, Brot für Brüder und Helvetas. Frauenfeld, Huber Verlag, 2010. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 61 Nr. 4, 2011, S. 496-497

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 61 Nr. 4, 2011, S. 496-497

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